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Ins Netz gegangen

Digitale Netzwerke machen den Globus zum Punkt auf dem Bildschirm

Vernetzung - das klingt moderner, als es ist. Vernetzung ist eine Grundbedingung, die das soziale Leben der Menschen der Menschen seit seinen Anfängen begleitet: als Geflecht unentbehrlicher Beziehungen von Geben und Nehmen in Sippe oder Dorf oder als mehr oder weniger institutionalisiertes Gefüge des Austauschs von Menschen und Gütern zwischen Stämmen und Völkern. Jede Produktion, die über allerprimitivste Deckung des Existenzminimums hinausgeht, ist Ergebnis komplizierter Vernetzungsprozesse, die beträchtliche Entfernungen überspannen und an denen oft erstaunlich viele Menschen beteiligt sind.

So sind auch die "großen Netze" keine Erfindung des digitalen Zeitalters. Die alten Handelsstraßen führen von Westeuropa bis in den vorderen Orient und von da weiter nach China, mit Abzweigen Richtung Rom oder Skandinavien in Europa, aber auch nach Afrika und Indien. Freilich bestanden die alten Netze nur aus wenigen dünnen Strängen. Gewöhnliche Menschen hatten damit nichts zu schaffen - höchstens als Lastenträger oder Eseltreiber. Die beförderten Produkte und Nachrichten waren für die Fürstenhöfe bestimmt. Nachrichten gehörten übrigens von Anfang an zu den wichtigsten Gütern, die auf den Netzen transportiert wurden. Das wird leicht übersehen, weil die Nachrichten auf Schrifttafeln, Papierrollen oder Knotenschnüren zunächst mit materiellen Trägern verbunden waren und nicht schneller reisen konnten als diese. Auch gab es nur wenige Menschen, die größere Strecken des Netzes kannten - der Fernhandel lief meist über Ketten von Zwischenhändlern.

Im Lauf der Jahrhunderte wurden die Netze dichter - als Straßennetz - und schneller - als Eisenbahnnetz. Mit der Transsibirischen Eisenbahn und dem Netz der Schiffahrtslinien wurden sie bereits Ende des 19. Jh. weltumspannend. Ihre Nutzung blieb weiterhin den Eliten vorbehalten, sieht man einmal von Auswanderern ab, die sich ohne Rückfahrschein auf die andere Seite des Globus aufmachten. Die kleinen Leute lebten weiterhin wie eh und je in den kleinen Netzenvon Familienverband, Dorf und Stadt, Verein und Gewerkschaft. Das große Netz erahnten sie im Kolonialwarenladen oder wenn Krieg war und sie hin mußten. Der erste Weltkrieg heißt nicht zufällig so, wer will, mag im Donner seiner Geschütze die Startschüsse zu dem Prozess hören, der heute "Globalisierung" heißt.

Information wird Produktivkraft
Vernetzung im Zeitalter der Globalisierung enthält all das, was hier skizziert wurde, und dazu noch einiges mehr. Ein entscheidender Gesichtspunkt ist hier, daß - Stichwort Dienstleistungsgesellschaft - der Stellenwert von Nachrichten und Informationen als Elemente der Wertschöpfung unglaublich zugenommen hat. Telephon- und Datennetze werden zur Träger von Produktion. Neu ist die unglaubliche Dichte dieser Netze, verbunden mit niedrigsten Zugangsschwellen, zumindest hierzulande. Eine weitere nachgerade revolutionäre Veränderung betrifft die Struktur der Netze. Sie haben - zumindest nicht notwendigerweise - kein bestimmendes Zentrum mehr, wie die Sendernetze von Funk und Fernsehen, und sie beschränken sich auch nicht mehr auf die Herstellung zeitweiser Verbindungen zwischen Individuen wie das Telefon. Im Internet ist jeder mit geringem Aufwand nicht nur passiver Empfänger, sondern auch aktiver Sender. Er konsumiert kein "Programm" - auch wenn ihm das die Verkäufer einer Programmzeitschrift für das Internet gerne einreden wollen - sondern ist sein eigener Chefredaktuer und Programmverantwortlicher. Er findet seine Informationen und Kommunikationspartner auf allen Kontinenten mit Netzanschluß, und wenn er etwas zu sagen oder zu zeigen hat, das jemanden in Neuseeland interessiert, wird der Neuseeländer es auch früher oder später finden - dafür sorgen Yahoo und Altavista, Dejavu und Google.

Ein alter Netzwitz sagt, daß es ja gut und schön sei, eine Pizza über das Netz zu bestellen - richtig Spaß machen würde es aber erst dann, wenn die Pizza auch über das Netz geliefert wird. Das verweist darauf, daß Information nicht alles ist. Zum Datennetz gehört das Netz für den Gütertransport. Erst seit beide - zumindest in der Tendenz - jeden Punkt der Erde und jeden ihrer Bewohner erreichen, verbinden und an sich binden, hat die Rede von der Globalisierung Sinn. Aber: Das wesentliche an der Vernetzung ist nicht, ob sie global oder lokal erfolgt. Das Wesentliche liegt darin, daß der Unterschied lokal-global in der Welt der digitalen Netze keine praktische Rolle mehr spielt. Die vernetzte Welt ist kjein Globus mehr mit 40 000 km Umfang, sondern ein Bildschirm mit der Diagonale von 17 Zoll, auf dem alle Punkte gleich weit voneinander entfernt sind: einen Mausklick weit. Der Cyberspace, um ein anderes Schlagwort zu bemühen, ist überhaupt kein Raum, sondern sein Gegenteil: ein Punkt.

Noch allerdings lassen sich auf dieser Bildschirmwelt verschiedene Zonen unterscheiden. Einige entsprechen Regionen auf dem Globus der vergangenen Jahrhunderte, und fast der ganze schwarze Kontinent Afrika ist für die Netzwelt immer noch ein weißer Fleck. Die Umrisse anderer Regionen lassen sich aus statistischen Jahrbüchern erschließen: Zonen schwacher Kaufkraft zum Beispiel, deren Einwohner sich bestenfalls die digitalen Schaufenster des e-Commerce anschauen können, aber nicht herein kommen. Die vielleicht neue Freunde im Netz finden, aber nicht die Mittel haben, sie zu besuchen.

Wie soll die Netzwelt aussehen?
Dafür, daß die Vernetzte Welt nur einen Bildschirm groß ist, gibt es recht viele und sehr unterschiedliche Konzepte zu ihrer Einrichtung. Vom Cyberspace war schon kurz die Rede. Dieses vielleicht populärste, aber auch unschärfste Konzept, assoziiert schwereloses Schweben und anarchische Freiheit, Zukunft gerade so wie im science-Fiction-Roman. Die Bewohner des Cyberspace vernetzen sich in eine Welt voller wundersamer Dinge, die sie eher beobachtend miterleben als aktiv mitgestalten. Jeder steckt in seiner Kapsel für sich alleine, nimmt Kontakt zu anderen höchstens einmal auf, um in einem weltumspannenden Computerspiel Aliens zu exterminieren. Das ist oft ziemlich abgehoben, frei im Raum schwebend und ohne Bodenkontakt. Im Extremfall wird der Cyberspace von Cyborgs bevölkert, Nachfolgern der Menschen, die ihren Körper aufgegeben haben und mit einer neuen Generation intelligenter Maschinen verschmelzen.

Aufschlußreicher und substantieller sind die beiden konkurrierenden Konzepte der Datenautobahn und des globalen Dorfes. Die Datenautobahn - schon allein das Wort assoziiert Warentransport, Tempo, Industrie und Verwertung, aber auch Verkehrszeichen, Autobahnpolizei und Verkehrskontrolle. Das Vernetzungskonzept der Datenautobahn steht für eine Netzwelt, die die bestehende Welt in einem neuen Medium abbildet und verlängert. Im Mittelpunkt dieser Welt steht das e-Business - und das ist weitaus mehr als bloß ein Angebot digitaler Kaufhäuser, von dessen Nutzen derzeit noch niemand recht überzeugt ist. E-Business steht für die völlige Vernetzung von Produktion und Dienstleistungen - alles arbeitet über die Grenzen von Unternehmen und Ländern hinweg so zusammen, wie es am günstigsten kommt. Da gerät dann schon einmal die Telefonzentrale eines deutschen Konzerns ins subventionierte Irland - von dort ist es schließlich auch nicht weiter zum elektronischen Terminkalender von Herrn Mayer in Stuttgart als von der alten Telephonzentrale auch.

Nicht nur Landesgrenzen werden aufgehoben. Für die Entwicklungs- und Stabsabteilungen der global vernetzten Unternehmen sind der 8-Stundentag ebenso wie die Greencard bestenfalls bürokratischer Firlefanz, mit dem sich ein schlecht bezahlter Bundeskanzler herumschlagen mag: Wenn in München der Arbeitstag zu Ende geht, fängt halt der an der US-Ostküste an, wandert dann über den Kontinent nach Kalifornien, springt herüber nach Asien oder auch ins asiatische Russland - ausgefeilte Software zur Telecooperation sorgt dafür, daß der Amerikaner dort weiterarbeitet, wo der Bayer aufgehört hat, und später eine Inderin pünktlich übernimmt.

Der Gegenentwurf vom "globalen Dorf" hat es schwer, da mitzuhalten. Er setzt der Vernutzung durch die Ökonomie die Vernetzung "von unten" entgegen, sieht die Datennetze als neuen Kontinent der Freiheit und Mitbestimmung, in dem jeder mit jedem kommunizieren kann, in dem jeder findet, was und wen er sucht, unabhängig davon, an welchem Punkt der Erde einer sich aufhält. Keine leichte Sache bei inzwischen vielleicht 500 Millionen Netzbewohnern - und immerhin mehr als 10 mal so vielen, die außerhalb stehen. Praktikabler erscheint da schon die Variante der "digitalen Stadt", die Kommunikation und Ko-Aktion im lokalen Rahmen auch über die Netze erleichtern und intensivieren will - bis hin zum elektronischen Rathaus, das seine Dienst- und Informationsleistungen sowie umfangreiche Mitwirkungsmöglichkeiten über das Netz bietet. Die globale Komponente kommt stärker zur Geltung in der neuen Erscheinung der Netz-Stämme - das sind zahlenmäßig relativ kleine Gruppen von Menschen, die ein bestimmtes Interesse teilen und so intensiv verfolgen, daß sie darin, zumindest für einen gewissen Zeitraum, ihren wesentlichen Lebensinhalt sehen. Solche "Stämme" gibt es in der Kunst, im Bereich eher esoterischer Wissenschaften, vor allem aber in der Politik "von unten". Am bekanntestes ist, ausgerechnet, der Stamm der Globalisierungsgegner, der die weltweiten Datennetze virtuos einsetzt, um seine verhältnismäßig wenigen Angehörigen überall da lautstark agieren zu lassen, wo die Globalisierungsmacher gerade neue Regeln für die Datenautobahnen planen.

Was macht das alles mit uns?
Das ist eine Frage, auf die verschiedene Leute wohl verschiedene Antworten geben. Ich will mich auf einen Aspekt beschränken: die unerhörte Verkürzung der Antwortzeiten der Kommunikation in den Datennetzen. Dabei geht es nicht um die Geschwindigkeit an sich, sondern darum, daß dank der Netztechnik die Antwort auf einen Privatbrief oder eine Message an eine Newsgroup mich erreicht, wenn ich noch etwas damit anfangen kann: Noch bin ich derselbe, der die ersten Nachricht abgeschickt hat. Das verleiht dem Gedankenaustausch eine Intensität, die früher das Privileg bedeutender und vermögender Leute war, die ein oder zwei Bediente den ganzen Tag auf Trab hielten, um ihre Gedankenblitze hin- und her fliegen zu lassen. Auch kurze Nachrichten und ein paar dahingeworfene Worte entfalten plötzlich Wirkung, da geht etwas von einem zum anderen, und bevor man sich versieht, merkt man, daß man im sicheren Schutz von Elektronik und Distanz mehr von sich hergibt, als man sich normalerweise gestattet, und mehr übernimmt, als in real life gelingt.

Aber es gelingt einem ja in real life! Kaum ist es auf dem Bildschirm, hat man es auch schon im Kopf - kalt erwischt, ohne die Sicherheitsabstände und Abwehrpanzer, mit denen wir es uns sonst so verläßlich eingerichtet haben. Man teilt sich mit - und plötzlich findet sich ein Teil der eigenen Existenz ins Netz gegangen. Intensive Netz-Nutzer haben oft ein ziemlich waches Bewußtsein davon, daß sie sich zu einer Art "verteilte Individuen" entwickeln, mit deren Souveränität und Geschlossenheit es nicht so weit her ist. Einige igeln sich dann erschrocken ein und befestigen die Grenzen der brüchig gewordenen Individualität unter lautem Kriegsgeschrei: Daher kommt die berüchtigte Streitlust in den Netzgemeinschaften. Andere buchen die Entgrenzungserscheinungen auf der positiven Seite und betrachten das Netz nicht als virtuellen, sondern als wirklichen Lebensraum: Vernetzte Individuen, die ihre kleinen Netze über den ganzen Globus ausweiten. Zum Seitenanfang

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