Der hl. Josaphat, dessen Feiertag ehedem der 27. November
war, ist in den letzten Jahrhunderten aus der Mode gekommen. Dieses Schicksaal
teilt er mit den meisten seiner Kollegen - und das ist im Zeitalter der
globalen Vernetzung eigentlich schade. Globalisierung ist nämlich
nicht erst eine Sache der Neuzeit oder gar des Internet. Die Weltreligionen
zeigen, was alles auch ohne Hightec geht, und der hl. Josaphat ist ein
ganz besonderer Fall. Sein Lob sang man im hohen Mittelalter im kühlen
Norwegen ebenso wie im sonnigen Spanien, bei
Juden und Moslems des Nahen Orients, aber auch bei Indern und Chinesen
und sogar den Koreanern und Japanern des allerfernsten Ostens. Einen schönen
Eindruck von dieser erstaunlichen Multikulturalität bietet das Kapitel
über die
Kulturdrehscheibe
Persien auf der Website des vietnamesisch-buddhistischen Quang Duc-Klosters
im australischen Fawkner.
Der Fürstensohn Josaphat, den sein Vater im goldenen
Käfig des Palastes einsperrte, um ihn vom Anblick von Not und Leid
des Lebens fernzuhalten und so auf sein Herrscheramt vorzubereiten, ist
nämlich kein anderer als Gautama Buddha, der dann schließlich
doch das Elend der Welt kennenlernte, aber auch einen Weg fand, sich davon
zu befreien. Als die Kunde
seines frommen Lebens im 6. oder 7. Jahrhundert den damals noch christlichen
Orient ereichte, waren sich alle einig: Das ist einer von uns. Ein biblischer
Name, eben Josaphat, für den durch viele Sprachen gewanderten Bodhisatva
war bald gefunden, seiner und seines Lehrers Ba(r)laam Erhebung in den
Stand der Heiligkeit stand nichts mehr im Wege. In dieser Wertschätzung
war man sich - sehr ausnahmsweise, bedenkt man die Zeitumstände -
mit Juden und später auch Moslems völlig einig.
Bis die fromme Geschichte Westeuropa erreichte, vergingen
noch ein paar kleine Jahrhunderte. Um 1230 herum verfaßte dann Rudolf
von Ems eine mittelhochdeutsche Romanfassung . Sie wurde zu einem
Bestseller ihrer Zeit - sogar eine isländische Übersetzung gibt
es. Einer ihrer späteren Leser wurde Richard Wagner, der
Elemente
des Stoffes für seinen Parsifal übernahm - so ganz nordisch
war der also auch nicht.
Zur Netgeschichte macht den bemerkenswerten Heiligen
zunächst der Umstand, daß selbst dieser ziemlich unzeitgemäße
Gegenstand im Internet ausführlich dokumentiert und damit auch recherchierbar
ist. Hier
findet sich sogar die komplette Übersetzung der griechischen Fassung
Johannes des Damaszeners (angeblich aus dem 8. Jh.) ins Englische. Und
einen aktuellen Aspekt hat die alte Geschichte dann auch noch: Im deutschen
Internet gibt es, Rudolf von Ems hin oder Richard Wagner her, von Barlaam
und Josaphat kaum eine Spur - eher schon unter at-Adressen. Aber wer mehr
haben will als Verweise auf Bibliothekskataloge oder germanistische Seminare
ist gut beraten, sich auf Servern im kulturfeindlichen und geschichtslosen
Amiland umzusehen.
Globalisierung läßt eben auch Provinzialismus deutlicher hervortreten.
Zur Belebung seines Umsatzes im Allgemeinen und des
Geschäftes über das Internet im Besonderen ist jetzt ein Anbieter
von Sportschuhen auf die Idee verfallen, "personalisierte" Ausführungen
seiner heißen Treter anzubieten Auf www.nike.com
kann man die Farbzusammenstellung selbst wählen und dann noch einen
Namen oder einen kurzen Slogan angeben, der dann (hoffentlich abriebfest)
auf das Schuhwerk aufgedruckt wird und dem Massenprodukt so seinen ganz
einzigartigen und unverwechselbaren Charakter verleiht.
Das ging solange gut, bis jemand das Wort "Sweatshop"
eintrug. Als "Sweatshops" (http://www.sweatshopwatch.org/
;
http://www.monitor.net/monitor/sweatshop/)
bezeichnet man in den USA jene Fabriken in Entwicklungsländern, in
denen unter jämmerlichen Arbeitsbedingungen und oft von Kindern produziert
wird, was dann hier cool und in ist. Auch teure Sportartikel - und so
bekam der Kunde, der "Sweatshop" eingetragen, keine Schuhe,
sondern eine e-Mail, so gehe das aber nicht, Obszönitäten und
Hate-Speech seien unzulässig.
Gerne hätte ich aus dem surrealistischen Briefwechsel
zitiert, der sich anschließend zwischen Anbieter und Kunde entwickelte
und unter anderem dazu führte, daß das Eingabeformular zeitweise
nur noch 8 Stellen akzeptierte - eine weniger als "sweatshop".
Doch die Messages aus der Mailingliste, in der dieser Fall lang und breit
dokumentiert wurde, archiviere ich nicht auf der eigenen Festplatte, sondern
verlasse mich da ganz auf das durch Suchmechanismen und Indizes hervorragende
erschlossene Archiv des Listowners. Das mache ich mit vielen Listenmails
so, schließlich kommen da wöchentlich an die zweitausend Stück
rein, das ist mit Bordmitteln nicht mehr zu verwalten. Doch nun, wo ich
genau diese Informationen gebraucht hätte, ist das Archiv auf www.netlife.org
"zeitweise nicht verfügbar". Ein Teil meines Gedächtnisses
ist weg - ganz ohne Alzheimer.
Organisch bedingten Gedächtnisschwund brauchen wir in Zukunft nicht mehr. Die Backups meiner Festplatte liegen, über das Netz täglich automatisch gesichert, auf einem Server, der, glaube ich, in Karlsruhe steht. Die Daten für ein Projekt, das in "Web Collaboration" mit einer Kollegin entsteht, liegen irgendwo in Norddeutschland. Mein Virenscannern wird hektisch, wenn er nicht jede Woche Updates von seinem Hersteller bekommt.
Bei Licht besehen: Ganz schön leichtsinnig.
Wer auch bei Reizthemen kühlen Kopf bewahrt, stellt sich vielleicht einmal die Frage, was das eigentlich bedeutet, wenn z.B. der Düsseldorfer Regierungspräsident Büssow mit dem Alarmruf an die Öffentlichkeit geht, die Zahl der rechtsradikalen Sites im Internet habe sich in den letzten fünf Jahren mehr als verzehnfacht. Höchste Zeit also, jeden denkbaren Druck auf die Provider auszuüben, den Zugang zu diesen Sites zu sperren.
Weiß der Chef der obersten Aufsichtsbehörde
nicht, daß es vor fünf Jahren, im Mai 1996, gerade einmal 18
619 deutsche Domains gab? Im Mai 2001 sind es nach Statistik
des DENIC weit über 4,4 Millionen. Natürlich kann man daraus
nicht ableiten, das Internet sei in diesen 5 Jahren um exakt das 236-fache
gewachsen - aber der Aufschrei des Aufsehers verliert doch etwas an Überzeugungskraft.
Und dann sei doch einmal in aller Bescheidenheit die
Frage gestellt, wer eigentlich bestimmt, was eine rechtsradikale Site
ist, die sich nicht mehr auf die im Grundgesetzt garantierte Freiheit
der Meinungsäußerung berufen kann. Daß der Umgang mit
diesen Freiheitsgarantien im Rechtsstaat nicht so einfach ist, wie es
der Ruf nach dem kurzen Prozess gerne hätte, sieht man ja an den
Demonstrationen der NPD und nicht nur der: Die Polizeipräsidenten
verbieten, die Verfassungsgerichte lassen zu. Wie soll denn die "schwarze
Liste" zustandekommen, die 15 Jugendminister der EU-Staaten gefordert
haben, um den Providern zu sagen, welche Server sie bedienen dürfen
und welche nicht?
Werden in Zukunft nur die Seiten abgeschaltet, die dumm
genug sind, Hakenkreuz zu zeigen? Oder auch schon eine Seite der Jungen
Union mit dem "Kinder statt-Inder"-Slogan? Reicht mein Anruf
beim Provider, die Türkenwitrze auf http://www.meinvaterhatdoenerbudeoderwas.de
entsprächen nicht meinem Geschmack, um das vom Netz zu nehmen? Bei
wem kann sich der Autor beschweren? Das Internet dürfe kein rechtsfreier
Raum sein, verlangt BüssowAber als rechtsstaatsfreien Raum sähe er es schon gerne?
Den Verdacht wenigstens muß sich der SPD-Abgeordnete
Peter Paul Gantzer nicht gefallen lassen: Er fordert eine staatliche
Zertifizierung für jeden, der etwas im Netz veröffentlichen
will. Rechtlich ganz klar geregelt: Es ist alles verboten, was nicht ausdrücklich
erlaubt ist. Waffenscheinpflicht für Serverzugang.
Meinungsfreiheit ist ein schwieriges Ding, und ja: damit
sind auch Risiken verbunden. Aber ist das ein Grund zum Selbstmord aus
Angst vor dem Tode?
Als die Türme des WTC noch brannten oder in den ersten Stunden des Bombardements von Afghanistan war TV das Informationsmedium der Wahl. Nicht nur, weil die Webredaktionen zu langsam und die Bilder der Webcam zu klein sind - die Bandbreite reicht auch meistens nicht aus, die sprunghaft ansteigenden Zugriffe zu bewältigen. Oft waren amerikanische Server von hier aus für Stunden nicht erreichbar, während die Bilder von CNN über alle Kanäle ins Haus kamen. Aber später, wenn im TV die Jets in der Endlosschleife wieder und wieder in die Türme stürzen und die Experten vom Dienst immer wieder die gleichen Sprüche klopfen - dann lohnt es sich, ins Netz zu gehen. Und dort meistens geradewegs zu den Online-Ausgaben von Zeitungen und Agenturen.
Lohnende Ziele sind derzeit z.B. die Seiten von Associated
Press Pakistan , des
Pakistan
News Sercvice , oder von "
The
News" in Lahore. Auch die
Khaleetimes
aus Dubai oder
The
Times of India sind einen Besuch wert. Nicht, daß sie immer
korrekt informieren, durchaus nicht, aber sie sind einfach näher
dran, und das eröffnet doch manchmal bedenkenswerte Perspektiven
und Einblicke.
Allerdings braucht es meistens ein bißchen Geduld. Die Verbindungen
sind schlecht, und daß man hier an TDSL hängt, hilft überhaupt
nichts, wenn der Weg zum Server über zuviele Knoten mit unterschiedlichster
Leistung führt Falls eine Seite mit einem vielversprechenden Titel
wie "Afghan
Daily" aber doch blitzschnell auf dem Bildschirm steht, ist Vorsicht
angebracht: Hier handelt es sich nicht um den Online-Auftritt einer lokalen
Redaktion, sondern um das regionalisierte Newsangebot des internationalen
Nachrichtendienstes
Worldnews.com.
Die operieren von London oder Washington aus und haben wenig zu bieten,
was man nicht von den großen Agenturen ohnehin schon kennt.
Das absolute Kontrastprogramm zu dem, was aus London und Washington kommt,
bietet demgegenübert eine Web-Publikation wie die "Daily
Islamic News" mit Nachrichten und Kommentaren aus dem fundamentalistischen
Umfeld. Noch eines drauf setzt "
Voice
of Islam" , wo der intellektuelle Unterbau zu dieser Weltsicht
geliefert wird - dekoriert mit Photos der Verzweifelten, die aus dem WTC
in den Tod stürzen. Zur Lektüre empfohlen besonders für
Leute, die meinen, daß man doch über alles reden können
müsse.
Der Düsseldorfer Regierungspräsident Büssow
als Vorkämpfer einer staatlichen Zensur des Internets ist hier schon
mehrfach gewürdigt worden. Höchste Zeit also, mal einen Blick
auf die Plätze im Netz zu werfen, an denen dagegen gehalten wird,
daß demnächst nicht nur in Saudiarabien und China Bürokraten
bestimmen, was die Surfer lesen dürfen und was nicht.
In Deutschland gibt es da gar nicht so sehr viel. Der
"Förderverein Informationstechnik
und Gesellschaft" ist zu nennen, dann "
Freedom
for Links", wo es hauptsächlich um ökonomisch motivierte
Einschränkungen der Meinungsfreiheit geht, und natürlich
Telepolis
mit einer Fülle von informativen Artikeln. Einen Einstieg in die
weitaus lebendigere Anti-Zensur-Szene der USA bietet die
Blue-Ribbon-Initiative.
In und um Stuttgart sitzt allerdings eine Gruppe Netzaktivisten,
die das Netz auf höchst phantasievolle Weise bei der Abwehr von Zensurbestrebungen
einsetzt. Als Examensarbeit haben sie z.B. ein Experiment
angestellt und dokumentiert , bei dem sie den gesamten Internet-Zugang
ihrer (kleinen) Hochschule über Wochen hinweg kontrolliert und manipuliert
haben - keiner hat's gemerkt.
Jetzt haben sie erneut zugeschlagen: Unter www.teletrust.info bieten die wackeren Baden-Württemberger den zensurgeplagten Nordrhein-Westfalen an: "Sie nennen uns eine Internetseite – wir lesen sie Ihnen vor!". Damit nutzen sie unterschiedliche Vorgaben der Gesetze über Mediendienste - auf die sich Büssow stützt - und über Teledienste - die eine Zensur ausschließen. Und obwohl die Website ihren satirischen Charakter durchschimmern läßt und das Angebot über eine 190er Nummer immerhin 2,42 pro Minute kostet, hat es bereits ernst gemeinte Anfragen und Aufträge gegeben. "Vielleicht spielen wir sogar unsere Unkosten für die 190er Nummer wieder ein" spekuliert Mitinitiator Alvar Freude, "aber natürlich können wir nicht den ganzen Tag Telefondienst schieben".
Deshalb ist die Aktion auch nicht auf Dauer angelegt - es geht um Reisefreiheit im Internet und nicht um eine Geschäftsidee. Und immerhin, ein Telefongespräch mit dem Regierungspräsidenten ist schon zustandekommen. Es dauerte über eine halbe Stunde und verlief in durchaus zivilisierten Formen. "Vielleicht hat er ja sogar etwas begriffen" hofft Freude.
Aktuell zusammengestellt:
Netgeschichten zu staatlicher Regulierung und kommerzieller Okkupation des Netzes.
Gefilterte Freiheit - wie das Netz zum "sauberen" Kanal für den Kommerz gemacht werden soll.
© für alle Texte:
Dr. Michael Charlier