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Patent per click?

British Telekom will das Rad neu erfinden

Das "Hyperlink" - also das Verfahren, aus einem Dokument heraus andere Dokumente aufzurufen - gilt als Kerntechnologie des Internet. Mit einer Anhörung vor einem Bundesgericht in Süd-New-York begann am Montag letzter Woche ein Prozess, in dem der Medienriese "British Telecom" nachweisen will, daß diese Kerntechnologie sein durch US-Patent Nr. 4873622 geschütztes Privateigentum ist. Falls die Klage Erfolg hätte, könnte BT jede Nutzung eines Links von Lizenzvereinbarungen abhängig und kostenpflichtig machen. Zumindest in den USA, wo die entsprechenden Patente noch bis 2006 gelten. Die Folgen für Anbieter und Nutzer von Webangeboten wären unabsehbar.

Der Verlauf der ersten Anhörung läßt allerdings hoffen, daß die Engländer mit ihren reichlich spät entdeckten Patentansprüchen nicht durchkommen. "Das klingt alles reichlich altbacken" bewertete Richterin Colleen McMahon die Sprache des Patentantrages aus dem Jahre 1976, "und es sieht so aus, als ob die dort beschriebene Technologie bereits überholt gewesen wäre, als das Patent erteilt wurde."

Womit die Nicht-Technikerin den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Der Patentantrag bezieht sich auf ein Verfahren, das seinerzeit im Zusammenhang mit PRESTEL (dem englischen BTX-Äquivalent) entwickelt worden war, um zusammen mit sichtbaren Informationsseiten auch "versteckte Seiten" zu übertragen, die erst durch ein besonderes Signal sichtbar gemacht wurden. Die behauptete Ähnlichkeit zum Link-Mechanismus des WWW ist schwer nachzuvollziehen.

Noch kritischer als die Frage der Anwendbarkeit des Patentes ist die Frage, ob das Hyperlink Jahr 1976 überhaupt patentfähig gewesen wäre. Bekanntlich gehört es zum Wesen einer Erfindung, daß darin neuartige Techniken oder Verfahren enthalten sind. Wird später nachgewiesen, daß ein Patent erteilt wurde, obwohl die ihm zugrundeliegenden Verfahren bereits bekannt waren und angewandt wurden, ist der Patentschutz hinfällig.

Wie alt ist die Link-Technik?

Je näher das Patent der BT dem Link käme, desto schlechte sieht es in dieser Hinsicht aus. Die Idee des Hyperlinks wird allgemein auf Arbeiten von Ted Nelson aus dem Jahr 1965 oder sogar Vannevar Bush von 1945 zurückgeführt. Beides liegt deutlich vor PRESTEL. Ein erstes funktionierendes Hypertextsystem wude im Jahr 1968 von Douglas Engelbart am Stanford Research Institute entwickelt - und zum Pech für die Möchtegern-Erfinder des britischen Telcos gibt es von der ersten Präsentation dieses Systems am 9. Dezember 1968 eine ausführliche Video-Dokumentation. Zerlegt in 35 einzeln abrufbare Abschnitte ist diese Aufzeichnung auf einer Website der Stanford-Universität unter abrufbar.

Gestützt auf diese und weitere Belege waren die Rechtsanwälte des US-Providers Prodigy, an den die British Telecom ihre Klage zunächst adressiert hat, denn am letzten Montag auch zuversichtlich, alle Ansprüche abwehren zu können. Die Träume der Manager von British-Telecom, künftig für jeden Linkclick zu kassieren - und die Albträume der User, die das letzutlich bezahlen müßten, werden wohl nicht Wirklichkeit werden.

Patente als Innovationshindernis

Womit leider nicht gesagt ist, daß man sich überhaupt keine Sorgen zu machen braucht - ganz im Gegenteil. In der gleichen Woche, in der in New York die Verhandlung über die Links begann, ging Computerhersteller Apple mit einer alarmierenden Mitteilung an die öffentlichkeit: Die neue Version seines Programmes "Quicktime" für streaming Multimedia ist zwar fertiggestellt, kann jedoch aus lizenzrechtlichen Gründen nicht auf den Markt gebracht werden. Quicktime 6 verwendet das Datenkompressionsformat Mpeg 4, dessen technische Leistung allgemein sehr positiv beurteilt wird.

Doch die Rechte an diesem Format liegen bei einem Konsortium von 18 Unternehmen, die enorm hohe Lizenzforderungen stellen. Zahlen sollen nicht nur die Hersteller von Software, die Mpeg 4 in ihre Programme einbauen, sondern auch die Informationsanbieter, die diese Programme verwenden - und zwar auf Stundenbasis. Das erfordert beträchtlichen Verwaltungsaufwand und würde die - zum Teil heute noch kostenlosen Angebote - schwer erträglich verteuern. Die Folge: Mpeg 4 wird vorläufig nicht als Standard genutzt, fertigentwickelte Produkte wie Quicktime 6 bleiben in der Schublade, und Videoübertragungen im Netz kommen weiterhin mit einer Qualität, die weit unter dem aktuellen Stand der Technik liegt.

Immerhin: Die rechtliche Lage ist im Fall Mpeg 4 eindeutig. Die Rechte der Patentinhaber an den in Frage stehenden Technologien sind unbestreitbar. Sie dürfen an potentielle Nutzer Forderungen in beliebiger Höhe stellen - ob sie damit am Markt durchkommen und im eigenen Interesse oder dem ihrer Kunden klug handeln, steht auf einem anderen Blatt.

Im Trüben fischen

Deutlich anders liegen die Dinge bei Tausenden von Patenten zu Geschäftsmodellen oder Softwareelementen, die von E-Business-Unternehmen während des Goldrauschs beantragt und vom US-Patentamt anscheinend im Fließbandverfahren auch zugesprochen woprden waren. Am bekanntesten ist hier das sogenannte "One Click-Patent", das der Online-Buchhändler Amazon erwirkt und mit Prozessen gegen Mitbewerber aggressiv verteidigt hat. Dabei geht es um ein in jeder Hinsicht - sowohl IT-technisch als in Hinblick auf die Geschäftsprozesse - extrem simples Verfahren: Wenn sich ein Käufer bei seinem ersten Kauf (etwa durch Eingabe seiner Kreditkartennummer) identifiziert, schickt ihm der Rechner von Amazon dafür eine verschlüsselte digitale Bestätigung. Bei künftigen Käufen greift der Rechner von Amazon automatisch auf diese Bestätigung zu, eine nochmalige Identifikation ist nicht notwendig: Zur Bestellung genügt ein Klick.

Die große Mehrheit der Leute, die sich mit Patentrecht auskennen, ist sich darin einig, daß eine derart triviale und in vielerlei Varianten längst praktizierte Idee nie hätte patentiert werden dürfen. Die Erklärungen dafür, daß es dennoch geschehen ist, reichen von der Annahme schlichter Inkompetenz auf Seiten der Angestellten des Patentamtes bis zu finsteren Mutmaßungen über Korruption oder politische Einflußnahme.

Der Fehler liegt im System. Die Patentämter stellen ganz allgemein immer geringere Anforderungen an die Novität von Erfindungen, um die Zahl der "Schutztitel" zu erhöhen. In Australien wurde 2001 sogar ein Patent 2. Klasse eingeführt, das den Patentanwalt John Keogh dazu provozierte, ein "circular transportation facilitation device zur Patentierung einzureichen. Prompt bekam er seinen Stempel - nun hat er es schriftlich, daß er das Rad erfunden hat.

Die Auswirken für die weitere Entwicklung des Internet und der Online-Ökonomie sowie der Technik insgesamt sind in jedem Fall äußerst negativ: Das Streben nach Innovationen verlagert sich in die Rechtsabteilungen, Kunden und Anwender schauen in die Röhre. Viele große Unternehmen betreiben systematisches Patent-Mining, um ihren oft viele Tausend Nummern umfassenden Bestand an Patenten darufhin zu untersuchen, ob solche darunter sind, deren Verletzung sie gegenüber anderen Unternehmen geltend machen - und in Lizenzzahlungen ummünzen - können. Immer öfter erheben sie dabei Ansprüche, die so weit hergeholt sind wie bei British Telecom und den Hyperlinks. Man kann es ja mal versuchen.

Patenbusters

Die inflationäre Vergabe und Beanspruchung von Patenten hat in den USA eine neue Sorte von Unternehmensberatern hervorgebracht: Die Patentbuster. Das sind Wissenschaftler oder Ingenieure, die sich in einem bestimmten Technologiegebiet besonders gut auskennen und sich zutrauen, herauszufinden, ob ein Patent zu Unrecht vergeben worden ist, weil die "Erfindung" bloß beschreibt, was anderswo schon praktiziert wurde. Ihre Kunden sind große und kleine Unternehmen, die plötzlich zu Lizenzzahlungen aufgefordert werden, obwohl sie sicher sind, nur "freie" Verfahren einzusetzen.

Die Patenbusters haben gut zu tun. Einer der bekanntesten und erfolgreichsten von ihnen ist Gregory Aharonian, der auf seiner Website www.bustpatents.com mit Genugtuung eine lange Liste von Paptenten präsentiert, die bereits zurückgezogen werden mußten. Es lohnt sich, dort gelegentlich einmal vorbeizuschauen: Vielleicht taucht dort schon bald auch US-Patent Nr. 4873622 aus der Streitsache British-Telecom gegen Prodigy in Sachen Hyperlinks auf.

Anmerkung

Anmerkung Dieser lange Text ist natürlich keine Netgeschichte. Aber da er zum Thema gehört und ebenfalls in der FR erschienen ist, passt er hier ganz gut hin.



Stimme der Opposition

Der Verlag O'Reilly, hat als einer der ersten Widerspruch gegen das Vorgehen von Amazon eingelegt. In der Folge hat O'Reilly eine eigene Website eingerichtet, auf der über den Stand der Dinge rund um Internet-Patente informiert.

Im letzten Jahr hat O'Reilly erstmals hochdotierte Preise an Investigatoren verliehen, die nachweisen konnten, daß frisch verliehene Internet-Patente nicht-patentierungsfähige Verfahren schützen sollten.