Sie sehen eine Version der Netgeschichten, die Ihnen den vollen Inhalt und die Navigation, jedoch nur ein reduziertes Layout bietet. Warum und wieso?

Wenn Alle mit Allen

Mit p2p zu einem neuen Internet?

"Napster - das ist nichts anderes als Diebstahl" schimpft Hilary Rosen, Chef des Verbandes der US-Plattenindustrie RIAA. Im amerikanischen Dauerwahlkampf war denn auch schon von "Kriminellen" die Rede, "die endlich hinter Gitter gehören". An Stammtischen und in Rechtsanwaltskanzleien gehen die Wogen hoch - doch bei DV-Strategen innerhalb und außerhalb der großen Unternehmen wird das Napster-Prinzip "jeder mit jedem" sehr aufmerksam betrachtet: Vielleicht bietet es die Chance, die Internet-Technik auf eine neu Grundlage zu stellen - ohne ständig überlastete Server als Engpässe im Datenstrom.

P2p heißt der neue Trend - und schon der Versuch, die Abkürzung aufzudröseln, läßt ahnen, daß die Sache nicht so einfach ist. "Peer to peer" entschlüsseln die einen - das zielt eher auf die technische Ebene und meint, daß Computer in einem Netzwerk die Daten "von gleich zu gleich" austauschen, ohne Zentrale. Person to person ist die andere Lesart. Sie meint technisch das gleiche, betrachtet die Sache aber unter dem Aspekt, was Menschen damit für tolle Dinge anstellen können - napstern zum beispiel, ganz ohne Rücksicht auf Urheberrecht und ausgefeilte Vertriebsstrategien der Plattenlabels.

Dabei ist Napster noch nicht einmal "echtes" p2p - es gibt immer noch eine Zentrale, die man schließen und damit das ganze System abschalten kann. Damit ähnelt Napster übrigens dem Internet insgesamt, das zwar nach seiner technischen Grundstruktur ein Netz aus gleichberechtigten Computern ist, dessen praktische Nutzbarkeit aber von vielerlei Knotenpunkten und Zentralrechnern abhängt.

Ohne den zentral und streng hierarchisch organisierten Domain Name Service (DNS) könnten wir nicht einfach fr-aktuell anwählen, sondern müßten uns mit Zahlenmonstern wie 194.175.173.20 herumärgern. Kein Wunder also, daß die US-Regierung den DNS fest im Griff hält und ab und zu auch mal dafür sorgt, daß eine unliebsame Adresse aus diesem Verzeichnis gestrichen wird. Etwa der Satireserver "Vote-Auction.com", der derzeit nur unter Aussenlinkhttp://62.116.31.68 erreichbar ist. Ohne zentrale Datenbanken bei Jahoo, Altavista oder Google hätten wir kaum eine Möglichkeit, unter Milliarden Webseiten die gesuchte Information zu finden. Und ohne die Vermittlungsdienste der Napster-Zentrale wüßten wir nicht, bei wem die gesuchten Soundfiles liegen - die wir dann, wenn wenn wir es erst einmal wissen, direkt und ohne besondere Vermittlung dort abholen, so weit es im Interent überhaupt "direkt" zugehen kann.

"AussenlinkGnutella" braucht keine Zentrale. Deshalb wird das System gerne als möglicher Nachfolger für einen von der Musikindustrie abgeschalteten Napster genannt wird. Gnutella (der Name hat übrigens weniger mit Brotaufstrich zu tun als mit der AussenlinkGNU(Gnu is Not Unix)-Lizenzregelung der Free Software Foundation) ist eine "echte" p2p-Anwendung. Alle Teilnehmer, die gerade am Netz angeschlossen sind, bilden die Knoten eines Netzes, die sich mittels kurzer Botschaften untereinander verständigen. Da diese Botschaften vielfach Handlungsanweisungen, also Programme enthalten, nenn man sie auch "agents", Agenten. Und wenn ein Teilnehmer etwas sucht - bei Gnutella müssen das keine Musikfiles sein, das System sucht und findet im Prinzip alles - schickt er Agenten an seine Nachbarn. Jeder davon schickt dann automatisch Agenten mit dem gleichen Suchauftrag an seine entfernteren Nachbarn - und so weiter. Früher oder später wird ein Agent fündig, macht sich mit der Adresse der Fundstelle auf den Rückweg und stellt die direkte Verbindung zur Übertragung her.

Das klingt genial - aber: Erstens erfolgt der Einsatz der Agents zumindest nach derzeitigen Verfahren ziemlich unrationell - da können gewaltige Schwärme entstehen, die sich gegenseitig auf die Füße treten und die Übertragungsleistung des Netzes überfordern. Genau das ist im Frühjahr dieses Jahres bereits mehrfach geschehen. Zweitens hat sich gezeigt, daß es in solchen Systemen des "Gemeineigentums" anscheinend immer mehr Leute gibt, die etwas herausholen wollen, als solche, die etwas hereinstecken. Teilnehmer, die sich ausgenutzt fühlen, verlassen das System eher früher als später - das Netzwerk trocknet aus.

An diesen Schwachstellen setzen zwei weitere dezentralisierte Systeme an, die beide noch im Erprobungsstadium stehen: "AussenlinkGrove" und "AussenlinkMojo Nation". Groove ist dezentralisiert wie Gnutella, doch anders als dort und bei Napster geht es hier nicht darum, eine möglichst große Zahl von Teilnehmern miteinander zu verbinden, sondern um kleine Gruppen, die Umfang und Zusammensetzung selbst bestimmen. Es geht auch keinesfalls nur um den Tausch von Musik, sondern um die Bildung gemeinsamer "Webspaces", in denen man gemeinsam arbeitet, Nachrichten und Dateien austauscht, sogar gemeinsames Surfen im Netz (d.h., alle sehen in ihrem Browser, was ihnen einer zeigen will) ist möglich. Ein ideales Werkzeug für die Online-Kooperation in kleinen Gruppen - wenn alles so funktioniert, wie die Entwickler sich das vorstellen.

"Mojo Nation" - das klingt wie ein Indianerstamm, zumindest nach Stadtindianer. Ist es aber nicht. Dieses System zielt auf größere Grupen als Groove und widmet sich mit besonderem Nachdruck dem lästigen Problem der Trittbrettfahrer. In diesem Netzwerk kostet jede Transaktion die Teilnehmer einen bestimmten Betrag in der fiktiven Währung "Mojo", und um "Mojos" zu bekommen, muß man entweder etwas in das Netzwerk hineinstecken (Speicherplatz üder Übertragungskapazität) oder man muß die Mojos kaufen - gegen gute Dollars.

Wer daraus schließt, daß die Mojo-Leute einen hochentwickelten Geschäftssinn haben, könnte richtig liegen. Jedenfalls legen sie ihr System so aus, daß damit nicht nur private Transaktionen person to person vorgenommen werden können, sondern daß es in entsprechenden Sonderausführungen auch für das Management und den Austausch großer Mengen von Dokumenten im Rahmen eines global agierenden Großunternehmens taugt. Peer to peer eben.

Mojo Nation verringert auch die Bedeutung der problematischen Agents von Gnutella. Es setzt stärker auf interne, allerdings wiederum teilzentralisierte Informationsdatenbanken, zusätzlich auf den informellen Austausch zwischen den Anwendern. Außerdem berücksichtigt Mojo einen Schwachpunkt, der bisher noch gar nicht benannt wurde: Vertraulichkeit und Sicherheit der Daten. Alle Dateien werden aufgeteilt und verschlüsselt - die einzelnen Teile werden auf verschiedenen Rechnern abgelegt, so daß kein Außenstehender durch den Angriff auf einen Rechner herausbekommen kann, welche Mojo-Daten dort abgelegt sind. Allerdings kommen dadurch erneut Zentralisierungselemente in das System - die sogenannten "publication Tracker", die den Überblick darüber behalten, was wo untergebracht ist. Aßerdem setzt die verteilte Lagerung der Dateibruchstücke voraus, daß mindestens die Hälfte der Rechner, auf denen die Datei-Bruchstücke abgelegt sind, auch dann in Betrieb ist, wenn sie wieder zusammengesetzt werden soll. Man sieht: Mojo Nation ist jedenfalls nicht in dem Sinne für person to person ausgelegt, daß auch private Rechner mitspielen könnten, die nur für ein paar Stunden am Tag Netzanschluss haben.

Verschlüsselung der Informationen ist bei Mojo Nation eher eine technisch bedingte Begleiterscheinung der verteilten Ablage von Dateien. Im Vordergrund des Konzeptes steht das Geben und Nehmen innerhalb des Netzwerkes. Bei anderen Systemen geht es genau um die Verschlüsselung, aber nicht etwa mit dem Ziel, Information im Netz gegenüber unerwünschten Mitlesern geheimzuhalten, sondern darum, zu verschleiern, wer eine Information ins Netz gestellt hat, auf welchem Server sie physikalisch liegt, und wie man sie wieder löschen bzw. die Netzbenutzer vom Zugang ausschließen kann. Die Entwickler dieser Systeme reagieren damit auf die Tendenz vieler Regierungen, das Internet in einer Weise zu zensieren und unter Polizeiaufsicht zu stellen, die sich die Bürger ihrer Staaten als Brief- oder Zeitungszensur nie gefallen lassen würden.

Die bekanntesten dieser Projekte laufen unter dem Namen AussenlinkFreenet und "AussenlinkPublius" ( dort auch Hinweise zu weiteren Projekten) Diese Projekte haben sich nichts geringeres vorgenommen, als, auf der technischen Grundlage des bestehenden Internets ein völlig neuartiges System zu etablieren. Dieses neue System speichert Inhalte so auf einer Vielzahl von Servern ab, daß es praktisch unmöglich ist, zu sagen, wo sie liegen. Einige Systeme sind sogar so ausgelegt, daß noch nicht einmal feststellbar sein soll, ob ein bestimmter Server daran teilnimmt oder nicht. Es ist auch nicht feststelbar, wer etwas hochgeladen hat, und nur der Urheber kann die Information verändern oder löschen. Der Zugang zu den Informationen beruht auf einem eigenständigen System von Adressen. Jeder, der die Zugangssoftware installiert hat, kann alles sehen, was im "neuen Internet" veröffentlicht ist - und niemand kann den Zugang sperren.

Eine Zeitlang sah es so aus, als ob Big Money mit hochglanzpolierten Webkatalogen und die Regierungen mit ihren Zensurgelüsten die Zukunft des Internets alleine bestimmen könnten. Mit p2p - gleichgültig, wie man das nun aufschlüsselt und welche Systeme sich schließlich durchsetzen - sieht die Netzwelt wieder ganz anders aus..Zum Seitenanfang

*

Anmerkung

Anmerkung Dieser lange Text ist natürlich keine Netgeschichte. Aber da er zum Thema gehört und ebenfalls in der FR erschienen ist, passt er hier ganz gut hin.



Ferrero greift an:

Mit Datum vom 19. Februar 2001 erließ die 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln auf Antrag der Ferrero-Anwälte eine einstweilige Verfügung, in der der Betreiber der Domain www.gnutella.de unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 500.000 Mark aufgefordert wird, die Domain weder zu benutzen noch sie an Dritte zu veräußern.

Die Schokoladenverkäufer begründeten Ihren Antrag damit, daß sie als Inhaber der Markenrechte an Nutella nicht zulassen könnten, daß ihr guter Name in Verbindung mit einer Einrichtung gebracht werde, über die Raubkopien und Kinderpornos getauscht würden.

Und das Kölner Landgericht, entgegenkommend wie immer, sah prompt "Gefahr im Verzuge".

Mehr dazu bei Heise